Von Benjamin Schumann

 

Das spannenden an meiner Arbeit als Eine Welt-Promotor in Chemnitz ist, dass ich die verschiedensten Menschen kennenlernen kann und so zu den Facettenreichtum der Gesellschaft um mich herum erlebe. Im vergangenen halben Jahr sprach ich mit Vertreter_innen der Wirtschaft ebenso wie mit Klimaktivist_innen, mit marginalisierten Geflüchteten ebenso wie mit Politiker_innen. Dabei sehe ich auch, wie gespalten diese Gesellschaft ist, besonders wenn es um ökologische Fragestellungen geht. Gerade die Fridays-for-future-Bewegung zeigt mir, dass die Kinder und Jugendlichen nicht mehr bereit sind, sich die eigene Zukunft versauern zu lassen. Und die Gespräche zeigten mir, dass dieselben jungen Menschen bereit sind, sich in ihrem Konsumverhalten einschränken zu lassen. Gleichzeitig ist es erschütternd, wie tief die Gräben zwischen den Generationen sind.

Kinderkram nachhaltige Entwicklung?

Eine im Auftrag des Bundesumweltamtes durchgeführte Studie belegt diesen Eindruck auch statistisch. So empfinden 78% der 14 -19 jährigen Umweltprobleme und insbesondere die Klimakrise als wichtigstes Themenfeld. Der befragten Gruppe war es auch vergleichsweise egal, ob die wirtschaftliche Entwicklung darunter leidet. Die Studie kam auch zum Ergebnis, dass das umweltpolitische Bewusstsein soziologisch stark unterschiedlich ausgeprägt ist. „Die Kenngrößen für das affektive und kognitive Umweltbewusstsein sind in den kritisch-kreativen Milieus und bei den jungen Idealistischen deutlich höher als in anderen Milieus“ heißt es in der Studie. Ein Blick in die Studie lohnt sich, wenn man die jüngsten Wahlerfolge der Partei Bündnis 90/die Grünen verstehen will.

Aus meiner Sicht kommt das gesteigerte Bewusstsein nicht von ungefähr und resultiert auch aus erfolgreicher Bildungsarbeit. Seitdem die Vereinten Nationen auf ihrer Vollversammlung 2002 die Jahre 2005 bis 2014 zur Weltdekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ausriefen ist einiges geschehen. Auch die im Januar 2019 verabschiedete „Sächsische Landesstrategie zur Bildung für nachhaltige Entwicklung“ belegt die gesteigerte Bedeutung von BNE im Unterricht.

Naturwissenschaftliche Erkenntnisse können politisch nicht diskutiert werden. Gefühle schon!

Allerdings gibt es eben nicht nur „kritisch Kreative“ und „junge Idealisten“. In meiner Heimatstadt Chemnitz mit einem Altersschnitt 47 Jahre und einem Seniorenanteil 28%, ist der Anteil der Wahlbevölkerung mit geringem Bezug zu ökologischen Themen groß. In ländlicheren Regionen sieht es teils noch schlimmer aus.

Wissenschaftlich lässt sich der menschengemachte Klimawandel kaum bezweifeln. Selbstverständlich gibt es selbsternannte oder echte Expert_innen, die an einzelnen Messungen Zweifel hegen. Allerdings wird deren Anzahl und Bedeutung massiv überbewertet und umgedeutet. Wissenschaftlich ist der Klimawandel Fakt, doch dies schlägt sich realpolitisch zu wenig um. Warum können populistische Kräfte gerade in Ostdeutschland immer wieder damit punkten, wissenschaftlich belegte Fakten in Frage zu stellen?

Es ist einerseits wohl einerseits der Komplexität der Materie geschuldet, dass der weitgehende wissenschaftliche Konsens nicht gesamtgesellschaftlich akzeptiert wird. Dies gilt für Ost- wie Westdeutschland und für alte wie junge Menschen. Andererseits gilt: die Politik lebt nicht allein von Fakten! Für viele Menschen gelten Einschränkungen für die Umwelt als ungerechtfertigt, weil sie diese als individuell ungerecht empfinden. Wer etwa in den Nachwendejahren eingreifende, persönliche Umbrüche erlebt hat, zeigt heute wenig Verständnis für den Wunsch erneut das gesamte Wirtschaftsmodell umzukrempeln.

Dies resultiert eher aus der individuellen Gefühlssituation als aus tatsächlichem Faktenwissen. Ich plädiere dafür, die Gefühlssituation ernst zu nehmen, ohne die Faktenlage zu verleugnen. Im politischen Diskurs treten oftmals Scheinargumente und pseudowissenschaftliche Fakten offen zu Tage. Dagegen hilft es, wenn nicht nur Fakten vermittelt, sondern die gefühlte Wirklichkeit bzw. das Selbstverständnis verändert wird. Menschen missverstehen sogenannte Umweltthemen noch oft als den Umgang mit etwas, das vor allem außerhalb unserer menschlichen Sphäre relevant ist. „Umwelt“ wäre also eine Welt um uns Menschen herum, eine Welt jenseits unserer eigenen in der Veränderungen uns eigentlich nicht wirklich betrifft. Wenn dort eine Tierart ausstirbt, ist das nicht weiter schlimm. Es gibt ja noch genug andere …

BNE für alle!

Bildung für nachhaltige Entwicklung hat auch die Funktion, den Mensch „aus der Umwelt“ zurück auf den Planeten Erde zu holen. In unserer Arbeit geht es darum, eine globale Perspektive zu vermitteln und die Zusammenhänge zwischen heutigem Handeln und den Problemen der Zukunft sichtbar zu machen. Gute Bildungsarbeit in diesem Sinne gibt keine eindeutigen, unumstößliche Lösungswege vor. Sie lässt den Raum für politische Diskurse, ohne etwa naturwissenschaftliche belegte Fakten zu leugnen. Gerade im schwierigen Verhältnis zwischen ökologischen, sozialen und ökonomischen Fragestellungen ist ein einzelner Mensch nicht wirklich in der Lage, alle relevanten Aspekte zu bedenken.

Bildung für Nachhaltige Entwicklung ist ein Kernelement, um Gesellschaften auf die kommenden Umbrüche vorzubereiten und einen sozial-ökologischen Wandel einzuleiten. Die Bedeutung dieser Inhalte für politische Diskurse darf daher nicht unterschätzt werden und daher ist es auch richtig und wichtig, BNE als lebenslanges Lernen zu begreifen. In den Lehrplänen allgemeinbildender Schulen sind Themen der nachhaltigen Entwicklung längst auf dem Vormarsch. Es ist dahingehend konsequent, wenn BNE auch Einzug an Berufsschulen oder anderen berufsbegleitende Lernorte findet. Leider ist es oft ein weiter Weg, Schulleiter_innen klar zu machen, wie wichtig die Opferung wertvoller Fachunterrichtszeit für diesen Zweck ist.

Jenseits dessen muss BNE auch Menschen erreichen, die längst die Schule verlassen haben. Zum einen, um die Qualität politischer Meinungsbildung in der breiten Bevölkerung zu erhöhen und gesellschaftliche Spaltung zu überwinden. Zum anderen lässt sich dort Wissen abgreifen, welches andernfalls verloren gehen könnte. Als Konsequenz wirtschaftlichen Mangels war eine Kultur des Teilens und des Selbermachens früher allgegenwärtig. Wer beispielsweise heute von Oma und Opa lernt, wie saisonales bzw. regionales Obst und Gemüse haltbar gemacht werden kann, macht auch einen Schritt in Richtung ressourcenschonenden Konsums.