Derzeit ist das Thema Rassismus in Deutschland stark medial präsent. Diese Diskriminierungsform zu thematisieren muss ein wesentlicher Bestandteil nachhaltiger entwicklungspolitischer Bildungs- und Zusammenarbeit sein.
Leider verschiebt die deutsche Öffentlichkeit das Thema Rassismus gerne an den politischen rechten Rand oder in andere Länder. Gerade im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie offenbart sich aber in der deutschen Mehrheitsgesellschaft gegenüber Asiat*innen oder asiatisch gelesene Deutschen noch immer massiver Alltagsrassismus. In meinem Trägerverein „Integrationsgemeinschaft ausländischer Erwerbstätiger“ ist anti-asiatischer Rassismus immer wieder Thema. Viele der sich dort organisierten Menschen kommen aus asiatischen Ländern oder haben entsprechenden familiären Hintergrund. Meine eigenen Privilegien merke ich etwa, wenn meine Kolleg*innen eigene Erlebnisse darstellen.
Rassismus als systematisches, globales Problem mindert auch die Chancen von Gesellschaften im Krisenmodus von den Erfahrungen „der anderen“ zu profitieren. In einigen asiatischen Metropolregionen war z.B. das Tragen von Gesichtsmasken schon vor der Pandemie weit verbreitet. Wie viele Tote hat es den globalen Norden gekostet, diese Handlungsstrategie so lange zu negieren, anstatt sie frühzeitiger zu adaptieren?
Allerdings soll es nun im Folgenden um die Wirkung von anti-asiatischen Rassismus für Betroffene in Deutschland gehen und um die Frage, welche Handlungsoptionen es gibt. Dazu will ich meine Kollegin Vu Van Pham zu Wort kommen lassen. Sie engagiert sich als Referentin der Bildung für nachhaltige Entwicklung in unserem Verein und beschäftigt sich u.a. mit transkulturellen Fragestellungen.
Benjamin Schumann – Promotor für regionale Strukturentwicklung IAE e.V.
„Ching Chang Chong“ sagten sie und lachten mich aus. „Was hast du denn zu Essen mit?! Ihh, ist das etwa Hundefleisch?“ oder „Drecks Fidschi, verpiss dich“ sind nur einige meiner Erlebnisse. Meine Kindheit war derart geprägt von rassistischen Anfeindungen, dass sie fast zum Alltag dazu gehörten. Das stetige Unwohlsein an öffentlichen Plätzen ist geblieben, so wie es für viele BIPOC1 ganz ähnlich ist. Asiatisch gelesene Menschen in Deutschland sind nicht erst seit Corona, sondern seit ihrer Kindheit mit rassistischen Anfeindungen konfrontiert. Der durch Corona erstarkende anti-asiatische Rassismus führte jedoch dazu, dass rassistische Anfeindungen gegen asiatisch gelesene Mitbürger*innen deutlich zunahmen. Zahlreiche Vorfälle bezeugen eine rassistische und gewaltvolle Realität. Empört blicken betroffene asiatische Communities weltweit auf die Berichterstattung und fragen sich, wie können Menschen uns, nur aufgrund unseres Aussehens, vermeintlicher Weise für die weltweite Pandemie verantwortlich machen? Wie können Menschen nur so viel Hass verspüren und uns tagtäglich teils gewaltsam anfeinden? Was können wir dagegen tun und wie können wir den Corona-Rassismus entgegentreten?
Rassismus hat nichts mit einer logischen Erklärung einer Infektionskette und einer potentiellen Ansteckungsgefahr durch eine bestimmte Personengruppe zu tun – es ist eine ignorante Abwertung von Menschen, nach phänotypischen bzw. „nicht biodeutschen“ Merkmalen. Ein weißer Deutscher, der von seinem Skiurlaub aus einem Risikogebiet zurückkehrte, erlebte wahrscheinlich keine Corona-Anfeindungen. Asiatisch gelesene Personen hingegen können einen deutschen Pass haben, sich als Deutsch identifizieren, aber trotzdem werden sie von einem Teil der Gesellschaft mit dem Corona-Virus gleichgesetzt. Die banale Schlussfolgerung: Asiat*in = Chines*in = Corona-Virus verunsichert die betroffenen asiatischen Communities. Sprachlos, hilflos und kraftlos begegnen die Communities den, durch die Pandemie neu ausgelösten Anfeindungen im Alltag. Betroffene sind es leid sich rechtfertigen und verteidigen zu müssen und sind erschüttert über den offenen Hass der vermeintlich weltoffenen Gesellschaft.
Was können Betroffene nun tun? Oftmals wissen Betroffene nicht wie sie in solchen Situationen reagieren sollen. Sie wünschen sich, dass andere Passant*innen und Mitbürger*innen ihnen zur Seite stehen, die Täter*innen zur Rede stellen oder einfach zeigen, dass die Betroffenen mit ihren Gefühlen nicht allein sind. Leider passiert das viel zu selten, sodass sie oftmals mit ihren Sorgen und Ängsten allein gelassen werden. Das Projekt „Ich bin kein Virus“2 wurde zu Beginn der Corona-Pandemie und somit auch der Häufung von anti-asiatischen Anfeindungen ins Leben gerufen. Betroffene von anti-asiatischem Rassismus bietet die Plattform einen Safe Space3, um sich auszutauschen, um nach Rat zu fragen oder einfach um ihre Erlebnisse von der Seele zu schreiben. Auf der Website werden außerdem Akteur*innen und Hilfsangebote aufgelistet, die Betroffene als Anlaufstelle nutzen können. In Zeiten von Social Distancing ist es besonders wichtig sich virtuell besser zu vernetzen und auszutauschen und so die Community zu stärken und sich gegenseitig zu unterstützen. #IchBinKeinVirus
Vu Van Pham
Referentin der Bildung für nachhaltige Entwicklung
1 BIPoC steht für Black, indigenous and People of Color und schließt Menschen ein, die rassistisch diskriminiert werden. Es sollte hierbei geachtet werden, dass „Person of Color“ jedoch nicht mir „Farbige/r“ gleichgesetzt wird. Der Begriff ist eine Selbstbezeichnung von Menschen, die von Rassismus betroffen sind.
2 Mehr Informationen zum Projekt, Anlaufstellen für Betroffene und zahlreiche Erfahrungsberichte sind unter https://www.ichbinkeinvirus.org/ verfügbar.
3 „Safe Space“ bezeichnen Räumlichkeiten, in denen sich marginalisierte und diskriminierte Menschen zurückziehen können. An diesen Orten können sie sich sozusagen „sicher“ fühlen.
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